Nach der Simulation beginnt der kritische Schritt in die Praxis: die Übersetzung des Modells in reale Steuerparameter. Ziel ist es, die im Vorfeld berechnete Peak-Reduktion und SoC-Strategie verlässlich in den Betrieb zu übertragen.
Schritt 1: Funktionstest & Abgleich
Vor dem Regelbetrieb wird das System mit historischen Lastgangdaten verifiziert. Dabei werden die simulierten Peaks mit den Echtwerten der Messstellen verglichen. Stimmen Zeitpunkt und Höhe der erwarteten Spitzen überein, wird das Regelkonzept freigegeben.
Schritt 2: Parametrierung
Die wichtigsten Startparameter werden aus der Simulation übernommen, müssen aber an das reale Verhalten der Verbraucher angepasst werden:
Setpoint-Leistung: maximale Zielleistung am Netzverknüpfungspunkt (z. B. 1.200 kW).
Droop-Kurve: Verhältnis zwischen Abweichung vom Setpoint und Entladeleistung des Speichers.
SoC-Reserve: Mindestladezustand, der auch bei HLZF-Stunden garantiert verfügbar ist.
Rebound-Limit: Begrenzung der Nachladeleistung nach einem Peak, um neue Spitzen zu verhindern.
Schritt 3: Probebetrieb
Im ersten Betriebsmonat wird die Regelung eng überwacht. Abweichungen zwischen Soll- und Ist-Peak werden analysiert und Parameter nachjustiert (Fein-Tuning). Die Dokumentation dieser Testphase ist relevant, wenn der Betrieb unter eine individuelle Netzentgeltvereinbarung (§ 19 StromNEV) fällt – sie dient als Nachweis einer stabilen und verursachungsgerechten Netznutzung.
📊 Praxis-Tipp: Eine einfache Visualisierung „Plan vs. Ist“ (Peak-Reduktion, SoC-Verlauf, Rebound-Ereignisse) hilft, den Regelungszustand transparent zu überwachen und frühzeitig Fehler im EMS zu erkennen.
Betriebsstrategien & Optimierung
Nach der Inbetriebnahme entscheidet die richtige Regelstrategie darüber, wie stabil und wirtschaftlich das Peak Shaving läuft. Drei Grundprinzipien haben sich etabliert:
1. SoC-Management (State of Charge)
Der Ladezustand des Speichers ist der entscheidende Faktor für Zuverlässigkeit.
Reserveplanung: Ein definierter Mindest-SoC (z. B. 30 %) stellt sicher, dass in HLZF-Stunden oder bei unerwarteten Peaks genug Energie verfügbar ist.
Pre-Charge: Bei erwarteten Spitzenzeiten wird der Speicher gezielt aufgeladen, auch wenn der Strompreis höher ist – die Vermeidung des Peaks spart mehr als die teurere Energie kostet.
SoC-Fenster: Typisch sind 20–90 % nutzbarer Bereich; unterhalb 20 % droht Leistungsabfall, oberhalb 90 % sinkt die Ladeeffizienz.
2. Rebound-Vermeidung
Nach einem Peak-Einsatz darf der Speicher nicht sofort voll nachladen, sonst entsteht eine zweite Spitze.
Lösung: zeitversetztes oder PV-geführtes Nachladen.
Regelparameter: maximale Nachladeleistung (z. B. 50 % der Nennleistung) und Sperrzeiten (z. B. 30 min nach Entladung).
Bei HLZF-Tarifen: Rebound-Sperre bis Ende des Zeitfensters.
3. Zyklen- und Effizienzoptimierung
Jede unnötige Entladung kostet Zyklenlebensdauer und Wirkungsgrad.
Droop-Steuerung: lineare Leistungsabgabe abhängig von der Abweichung vom Setpoint – schont Batterie und reduziert Schaltvorgänge.
Prognosebasierte Optimierung: Integration von Wetter- und Produktionsdaten ermöglicht vorausschauende SoC-Planung und reduziert Blindzyklen.
📈 Beispiel: Ein Metallbetrieb mit HLZF 17–19 Uhr plant über das EMS, den Speicher ab 16 Uhr auf 90 % SoC zu bringen und erst nach 19 Uhr wieder nachzuladen – Peak gesenkt, Rebound vermieden.
Monitoring & KPIs
Ein funktionierendes Peak-Shaving-System ist kein „Fire-and-Forget“-Projekt. Nur wer laufend misst und auswertet, erkennt Abweichungen frühzeitig.
Primäre Leistungsindikatoren (monatlich/jährlich)
Vermiedene Leistungsspitze [kW]: Differenz zwischen gemessenem und simuliertem Peak.
Einsparung [€]: Leistungspreis × vermiedene kW.
HLZF-Trefferquote [%]: Anteil der Stunden, in denen die Reserve ausreichend war.
SoC-Ausnutzung [%]: Verhältnis von genutzter zu verfügbarer Kapazität.
Zyklenkosten [€/Zyklus]: Betriebskosten je Lade-/Entladevorgang.
Leistungstest: 1× jährlich kontrollierte Entladung zur Kapazitätsüberprüfung.
Kommunikation & Datensicherheit
Ständige Überwachung der Verbindungen (EMS ↔ BMS ↔ SCADA).
Alarm bei Ausfall von Datenpunkten oder verzögerten Signalen.
Backup-Strategie: täglicher Export der Last- und Regelungsdaten.
Fallback & Notbetrieb
Definierte Grenzwerte: Bei Kommunikationsfehler → Peak Limit = konservativer Setpoint.
Produktion bleibt geschützt; Speicher geht in Standby statt unkontrolliert zu reagieren.
Für atypische Netznutzung: Sicherung der Logfiles für Nachweisführung über 3 Jahre.
🧩 Hinweis: Netzbetreiber verlangen bei Sonderentgelten (§ 19 StromNEV) häufig Nachweise über „regelmäßigen, gleichmäßigen Betrieb“.
Kontinuierliche Verbesserung & Nachkalibrierung
Nach einigen Monaten zeigt sich, wie realistisch die ursprüngliche Simulation war. Der Schlüssel zu dauerhaftem Erfolg ist laufende Anpassung.
Datenabgleich
Vergleich: geplante vs. tatsächliche Einsparung und Peak-Höhe.
Analyse von Abweichungen (Feiertage, Schichtverschiebung, neue Verbraucher).
Anpassung der Setpoints und SoC-Reserven entsprechend.
Nachkalibrierung
Jährliche Neuberechnung der optimalen Speicherleistung, falls Produktionsmuster oder Tarife sich ändern.
Neue Flex-Assets (z. B. Ladeinfrastruktur) ins EMS integrieren, um kombinierte Regelung zu ermöglichen.
Automatisiertes Re-Tuning über Machine-Learning-Module: EMS lernt, zu welchen Zeiten Peaks am wahrscheinlichsten sind.
Prozess als PDCA-Zyklus (Plan–Do–Check–Adjust)
Plan: Simulation & Regelstrategie.
Do: Umsetzung im Betrieb.
Check: Monitoring & KPI-Analyse.
Adjust: Parametrierung nachjustieren.
♻️ Ergebnis: stabiler Betrieb, konstanter ROI und dokumentierte Effizienzsteigerung – wichtig für Compliance und Energieaudits (ISO 50001).
Praxisbeispiel: Peak Shaving im Mittelstandsbetrieb
Ein Metallverarbeiter in Baden-Württemberg betreibt mehrere Pressen und Kompressoranlagen mit einem Gesamtanschlusswert von rund 2 MW.
Die jährliche Stromarbeit liegt bei 11 GWh – damit erfüllt das Unternehmen die Voraussetzungen der 2.500-Stunden-Regelung (§ 19 StromNEV). Das Problem: kurze, aber hohe Lastspitzen beim Schichtwechsel um 6:00 Uhr und 14:00 Uhr. Diese Viertelstunden bestimmten bisher den monatlichen Leistungspreis und führten zu unnötig hohen Netzentgelten.
Ausgangslage
Maximale Viertelstundenleistung: 1.820 kW
Jahresverbrauch: 11.000.000 kWh
Benutzungsdauer: 11.000.000 kWh / 1.820 kW ≈ 6.040 h
Tariflogik: Monats-Max, 15-min-Messfenster, kein HLZF
Umsetzung
Nach einer Lastgang-Analyse und Simulation mit minimum.energy wurde ein Batteriesystem mit 600 kW Leistung und 500 kWh nutzbarer Kapazität ausgewählt.
Regelstrategie: Setpoint 1.200 kW, Droop-Kurve linear 1.200–1.800 kW
SoC-Reserve: 25 % (HLZF-Sicherheit)
Rebound-Limit: max. 300 kW Nachladeleistung, Sperrzeit 30 min
Die Anlage wurde über das bestehende EMS (Modbus-Kommunikation) integriert. Der Regelzyklus beträgt 1 s, die Daten werden im SCADA archiviert.
Ergebnisse nach 12 Monaten
Tatsächlicher Peak: 1.240 kW
Reduktion: 580 kW → Einsparung ≈ 93.000 €/a
Zyklen: Ø 0,7 Zyklen/Tag → 250 Zyklen/Jahr
Roundtrip-Wirkungsgrad: 89 %
HLZF-Trefferquote: 100 % (SoC nie unter 25 %)
Amortisation: < 6 Jahre (inkl. Förderung nach § 19 StromNEV)
Lessons Learned
Die größten Kostentreiber waren kurze, reproduzierbare Peaks – kein Grundrauschen.
Ein konservativer SoC-Puffer (25 %) erwies sich als wirtschaftlich sinnvoller als maximale Energieausnutzung.
Das automatisierte Reporting aus minimum.energy diente als Nachweis für die verursachungsgerechte Netznutzung beim Netzbetreiber.
Durch Integration weiterer Verbraucher (Ladeinfrastruktur, Kälteanlage) ist eine zweite Optimierungsstufe geplant.
Unser Tipp:
Mit minimum.energy können Sie den kompletten Regelbetrieb vorab virtuell testen. Die Plattform simuliert reale Lastgänge, Tariflogiken und HLZF-Stunden sekundengenau – inklusive SoC-Reserven, Rebound-Verhalten und Kommunikationsverzögerungen. So sehen Sie schon vor der Inbetriebnahme, wie das System auf Peaks reagiert, wo Nachsteuerbedarf besteht und welche Parametrierung im Dauerbetrieb die stabilsten Ergebnisse liefert.